Predigt von Richard Baus zum 1. Weihnachtstag, Lesejahr B

Joh 1,1–5.9-14

 

Liebe Schwestern und Brüder,

  
wenn wir am 1. Weihnachtsfeiertag das Evangelium nach Johannes hören, dann ist das schon sehr ernüchternd:
Nichts vom Zauber der Heiligen Nacht im Stall von Betlehem. Keine Engel, die vor Freude über die Geburt des Christkindes auf den Fluren ihr Halleluja singen!
Nichts von den Hirten, die herbeieilen.
Ja, nicht mal von Maria und Josef ist die Rede.

Sondern einfach nur:
„Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“.

Weihnachten – bei Tag betrachtet.
Ist das nicht ein bisschen dürftig???

Wie auch immer, auch der Evangelist Johannes will uns eine frohe Botschaft verkünden.
Und auch er will uns etwas über diesen Gott, der da Mensch geworden ist erzählen,
etwas, was uns aufhorchen lassen will. Und uns sicher auch zum Staunen bringen will.

Die frohe Botschaft des Johannes ist für mich in einem einzigen Satz versteckt, ja, eigentlich sogar nur in einem einzigen Wort.
  

Schauen wir noch mal hin, liebe Schwestern und Brüder:

Den wichtigsten Satz, der die Frohe Botschaft des heutigen Festes umschreibt, haben wir gerade gehört:
Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.

Und das Wort, in dem sich vielleicht so viel verstecken könnte, das müssten wir noch einmal genau aus dem Griechischen Text übersetzen. Das Wort: „es hat unter uns gewohnt“.
Wenn man das genau übersetzt, dann muss es im Deutschen heißen: Es hat unter uns sein Zelt aufgeschlagen.

Und ich vermute einmal, dass der Evangelist dieses Wort sehr bewusst ausgewählt hat, um uns damit etwas Besonderes zu erzählen - das Besondere dieses Jesus.

Er hat unter uns sein Zelt aufgeschlagen?!?!
Was könnte sein solches Zelt über ihn aussagen?

Nun, ich denke einmal, wer zeltet, der liebt die Freiheit. Der will sich nicht festsetzen – und der will sich auch nicht festsetzen lassen – nicht in Häuser und auch nicht in Kirchen. Im Gegenteil.

Wer zeltet, will beweglich bleiben; und wenn es ihm zu eng wird, zu kleinlich und zu borniert, dann wird er einpacken und ganz einfach weiterziehen.

Wer zeltet, liebe Schwestern und Brüder, der will keine Mauern um sich herum, die einen abschotten oder hinter denen man sicher verstecken kann, sondern der sucht Kontakt – Kontakt mit der Welt. Kontakt mit den Menschen. 

Wer zeltet, der lebt sicher auch bescheiden: Er verzichtet auf Komfort und Luxus, der stellt keine hohen Ansprüche, sondern er bevorzugt das einfache Leben:
Er schläft auf dem Boden und kocht am offenen Feuer – und er wird sich mit denen an einen Tisch setzen, die genau so denken und fühlen wie er. Und er wird sich ganz sicher nicht beeindrucken lassen von Schlips und Kragen; und über große Roben und kostbare Gewänder wird er lachen – denn so was braucht man nicht in einem Zelt.

Wer zeltet, der zeigt Risikobereitschaft: Er will Neuland betreten, neue Erfahrungen machen.
Mit solchen, denen es lieber ist, wenn alles beim Alten bleibt, da wird er nicht so viel am Hut haben. 

Und genau so etwas, diese Art zu leben, das lässt der Evangelist Johannes gleich am Anfang seines Evangeliums über Jesus durchblicken – und es wird sein ganzes Evangelium durchziehen.
Nicht nur wie ein rotes Faden, sondern wie ein ganzer Teppich.

  
Liebe Schwestern und Brüder,

ein ganz anderes Bild vom Retter und Heiland, das der Evangelist Johannes uns da zeichnet. 
Nicht Stall, sondern Zelt? Keine Erzählung vom Kindlein im Stall, sondern vom erwachsenen Jesus-Mann. Nichts vom Liebreiz einer heiligen Nacht, sondern vom Leben, das sehr hart und unmenschlich sein kann, wenn man es konsequent und ehrlich lebt.

Ja, Johannes will keine Sentimentalität, keine frommen Gefühle, die sich bei Glühwein und Kerzenschein besonders schön entfalten,  sondern der will Glauben. Und zwar einen entschiedenen Glauben an einen Jesus, im dem Gott unter uns zeltet, mitten unter uns.
Ein Jesus, der so anders bei uns sein will, als wir ihn immer in unseren Köpfen haben, ganz anders - in der Tat.

In einem seiner Liedertexte schreibt Huub Oosterhuis.
„Ein neuer Gott ist da, der unser uns will wohnen.“

Ein neuer Gott.

Ja, ein neuer Gott. Neu! anders!
Denn die alten Götter, die wir so in unseren Köpfen haben, die wollen Opfer.

Die alten Götter wollen Unterwerfung. Aber dieser neue Gott will Liebe.
Die alten Götter haben in Angst und Schrecken versetzt. Der neue Gott

will befreien von Angst und Schrecken.

Und wo die alten Götter die Menschen um jeden Preis kleingehalten haben, da richtet der neue Gott auf und schenkt den Menschen Ansehen und Würde.

  
Liebe Schwestern und Brüder,

dieser neue Gott will nicht, dass wir ihm dienen, sondern der will uns dienen.
Dieser neue Gott schaut nicht von oben zu, was wir hier unten alles falsch machen,
um uns dann dafür zu strafen, sondern der kommt herunter, um uns beizustehen und uns zu retten.

Ein Gott, den wir nicht bitten können, dass er wie ein Wunderdoktor Corona und alles andere Übel dieser Welt mit einem Fingerschnipsen von uns nimmt, aber der uns fest verspricht, dass er sich in all diesen dunklen und angstmachenden Situationen nicht aus dem Staub macht, sondern dass er gerade dort bei uns bleibt und sie mit uns erlebt und mit uns erleidet – bis hin ans Kreuz.

Ein Gott, der sich nicht raushält, sondern der sich einmischt und der sogar selbst Mensch wird bis aufs Blut --- so dass er am Ende genau weiß, wie das bedeutet, ein Mensch zu sein.

Ein neuer Gott, und das heißt wohl: So ganz anders als wir ihn uns so vorstellen und denken.
Ein Gott eben nicht in festen Mauern, Palästen und auch nicht für die Ewigkeit zementiert in Dogmen und Geboten, sondern in einem Zelt, das heißt beweglich, dauernd bereit aufzubrechen und sich zu ändern.

Ein Gott dessen Ziel es nicht ist, dass wir jetzt alle werden wie er, sondern der zu allererst selbst einmal werden will wie wir, ein Mensch.

Ein Gott, dessen Heimat nicht länger der Himmel sein soll, sondern die Erde, unsere Erde; und der seinen Himmel auf unsere Erde bringt, um ihn hier wie ein Zelt aufzubauen.

Ein Gott, dessen Sorge es anscheinend überhaupt nicht ist, ob die Menschen auch fromm genug sind, alle Gebote halten und ehrfürchtig knien, sondern dessen einzige Sorge es ist, dass wir heil werden, weil sie Anteil haben an seinem Heil.

Und dieses Heil ist etwas, was wir uns eben nicht erst verdienen und erleiden müssen, sondern dass allein ER uns bringen kann – vom Himmel auf die Erde.
Und deshalb ist er mit seinem Heil und seinem Himmel immer auf dem Weg - hin zu den Menschen; und auf seinem Weg befreit er die Menschen von Krankheiten und Zwängen. Er lässt sie aufatmen, er richtet die Gebeugten auf und kämpft an ihrer Seite gegen die Machthaber, die alles, was anders ist als sie, so gerne unterdrücken, verachten, ausgrenzen und am Leben hindern. 
Aber nicht er, der „neue Gott“, selbst dann nicht, wenn es ihm dafür an den Kragen geht.
Und so hängt schon über/neben der Krippe gleich das Kreuz.

 
Liebe Schwestern und Brüder,

das ist der Gott, dessen Geburt als Mensch wir heute feiern – Das Wort, das Fleisch geworden ist und unter uns sein Zelt aufgeschlagen hat.

Wie geht es uns damit? Können wir einen solch „neuen Gott“ überhaupt aushalten?
Ist es das, weswegen wir heute Morgen hier zusammengekommen sind?
Oder haben wir ihn nicht doch lieber im Stall, in der die Krippe mit Engeln?
Einen Gott, wohl verschlossen in einem Tabernakel. Gut domestiziert an heiligen Orten wie Rom oder Jerusalem. Festgeschrieben in Dogmen und Vorschriften, so dass man ihn gut verwalten und ihn sich auf Distanz halten kann

„Ein neuer Gott ist da, der unter uns will wohnen, so weit weg und so nah.“ Auch hier in. In einem Zelt.

  
Also, liebe Schwestern und Brüder,

können wir ihn so annehmen, wie er ist? So anders? So neu?

Nun, ich bin sicher: Am Ende kommt es gar nicht so sehr darauf an, dass wir IHN annehmen können,
sondern es kommt vielmehr drauf an, dass ER uns annimmt – und zwar so wie wir sind.

Vielleicht hätte er uns ja auch lieber anders. 
Aber das wird ihn nicht stören und nicht aufhalten. Er will doch unter uns, unter Menschen wie wir es sind, sein Zelt aufschlagen und bei uns wohnen.

Denn er ist eben anders.
Anders als wir so allgemein denken  –  von einem Gott.

Und das feiern wir heute an Weihnachten.

 
Amen

 

Vgl. Wolfgang Raible, Predigten für die Sonn- und Feiertag im Lesejahr B, S. 30 ff.

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