Predigt von Richard Baus zu Allerheiligen, Lesejahr C

Liebe Schwestern und Brüder,

eine ganze Reihe unserer Präfationen enden mit den Worten: „Darum singen wir mit allen Engeln und Heiligen“ – und dann folgt das Sanctus.

Wenn wir hier auf Erden zusammen mit den Engeln und Heiligen singen sollen, dann dürfen wir ja wohl davon ausgehen, dass auch im Himmel gesungen wird.

Welch schöne Vorstellung: Die Engel und die Heiligen singen im Himmel.

Und, wer weiß, vielleicht singen sie ja nicht nur „Sanctus, sanctus, sanctus“. Und nicht nur „Halleluja“. Vielleicht singen sie ja auch andere Lieder.

 
Dr. Wolfgang Raible, ein wunderbar kreativer Prediger und Seelsorger, schreibt:
Eine richtig sympathische Vorstellung: Die Melodien, die die Heiligen und Seligen zu ihren Lebzeiten gesungen und gespielt haben, klingen auch nach ihrem Tod weiter. Die Töne, die sie auf Erden angeschlagen haben, bleiben für uns und für alle Zeiten hörbar.

Es reizt mich, dieses Bild einmal auszumalen und mir die Chöre der Heiligen etwas genauer anzuschauen. Welche Lieder singen sie? Auf welches Repertoire haben sie sich spezialisiert? Wer singt in welchem Chor?

Ganz bestimmt hören wir dort oben Studentenlieder, angestimmt vom Chor der großen Theologen und Forscher. Ich entdecke Thomas von Aquin, Anselm von Canterbury, Teilhard de Chardin, Albertus Magnus, Karl Rahner, Karl Lehmann und viele andere.

Menschen, die nicht stehen bleiben wollten bei einem Kinderglauben, sondern die nach einem erwachsenen Glauben gesucht haben. Nach einem Glaube, der nicht wankt, und nicht gleich Angst bekommt, wenn man sich traut, mal etwas Neues zu denken. 

Mutige Leute, die die Kirche nicht im Mittelalter festschreiben - und dann darf sich nichts mehr ändern - sondern die ihre Kirche in die Zukunft führen wollen

Menschen, die es sich nicht verbieten lassen, selbst zu denken, weil sie sicher sind, dass der Hl. Geist auch heute noch genau so wirksam ist wie am Anfang der Kirche.

 
„Selig, die ein reines Herz haben“ – die suchen und fragen, die forschen und studieren, die staunen und dazulernen können, weil sie wissen: Gott will uns immer noch überraschen – mit Neuem, mit Lebendigem.
Wer auch so denkt, der wird einmal in diesem Chor willkommen sein.

 
In einem zweiten Heiligenchor werden Fahrtenlieder gesungen – von den großen Missionaren, die durch die ganze Welt gereist sind, um den Menschen die Frohe Botschaft bekannt zu machen. Paulus von Tarsus, Albert Schweitzer, Charles de Foucauld und Franz Xaver.

Aber auch Papst Johannes Paul II. der so viele Länder besucht hat, wie kein Papst vor ihm.
Menschen, die nicht zu Hause sitzen bleiben wollen, sondern die aufbrechen und in die Welt hinausziehen, damit der Glaube an einen Gott, der die ganze Welt liebt, auch in der ganzen Welt bekannt wird. Diesen Gott, vor dem man sich nicht fürchten muss, sondern der man lieben darf.

„Selig, die arm sind vor Gott“ – die auf Wohlstand und Sicherheit zu Hause verzichten, um mit der Frohen Botschaft Jesu zu den Menschen zu gehen.

Und „Selig, die Frieden schaffen“, weil sie bei ihrer Missionsarbeit in friedlicher Absicht kommen - und Respekt haben vor den Kulturen anderer Länder und anderer Völker.

Wem das gefällt, der wird mit seinen eigenen Fahrtenliedern im himmlischen Chor der Missionare erwartet.

 
Ein dritter Chor der Heiligen ist bekannt durch seine Protestlieder. Hier haben sich alle zusammengefunden, die einer Welt von Gewalt, Geld, Heuchelei und Ungerechtigkeit die Anpassung verweigern – zum Beispiel Alfred Delp und Dietrich Bonhoeffer, Sophie und Hans Scholl, Martin Luther King und Thomas Morus.

Den kräftigsten Sopran singt Caterina von Siena: „Seien Sie nicht ein ängstlicher Säugling, sondern ein Mann!“ – schreibt sie dem Papst in einem bitterbösen Brief und herrscht ihn an, er solle doch endlich die verlotterte Kirche reformieren.

Und die bekannteste Altistin ist Teresa von Avila: „Stur wie ein Ochse, dickfellig wie ein Elefant, schlau wie ein Fuchs, aufmüpfig, der fleischgewordene Gegenbeweis für all die schauderhaften Klischeevorstellungen, wie Heilige Frauen zu sein hätten“ – so charakterisiert sie einer ihrer Biographen. 

Oft machen ihr wenig erleuchtete kirchliche Würdenträger das Leben schwer. Dann seufzt sie: „Es ist kein kleines Kreuz, wenn man seinen Verstand jemandem unterordnen muss, der keinen hat.“
Ein Seufzer, den sicher auch heute viele Frauen ausstoßen, wenn sie mit dem Bewusstsein, von Gott zu einem Amt in der Kirche berufen zu sein, an die Grenzen stoßen, die Männer in der Kirche so gerne errichten, und die dann vom „rechten Glauben“ sprechen, wenn sie Macht meinen.

„Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit“ –
die rebellieren gegen hinderliche Traditionen und Unehrlichkeit, und die den Mund aufmachen und singen für eine bessere Welt:
Sie alle haben ihren Platz im Chor der himmlischen Protestsängerinnen und -sänger.

  
Und in einem weiteren Chor, im vielleicht größten himmlischen Chor, singt man vorwiegend Liebeslieder. Die tragenden Stimmen sind hier die Heiligen, die wir in den kommenden Wochen besonders feiern: Martin vor Tours, Elisabeth von Thüringen und Nikolaus von Myra sind deutlich zu hören, ebenso natürlich Vinzenz von Paul;
aber sicher auch die selige Mutter Rosa, die heilige Katharina Kasper und der ehrwürdige Stifter Jakobus Wirth.

Eines der jüngeren Chormitglieder ist Mutter Teresa von Kalkutta. Mit 36 Jahren vertauscht sie die Ordenstracht der Englischen Fräulein mit dem Sari der Armen Indiens, geht in die Slums, bringt halb verhungerten Familien das Essen, pflegt Kranke, besucht die Spitäler, hält Sterbenden die Hand. Einem amerikanischen Journalisten, der sie beim Verbinden einer eiternden Wunde beobachtet und dann ehrlich gesteht: „Nicht einmal für eine Million Dollar würde ich das tun!“ – diesem Mann antwortet sie lachend: „Ich auch nicht!“

„Selig die Barmherzigen“ – die das Liebesgebot Jesu zum Maßstab ihres Handelns machen, die einfach da sind und helfen – und so von Liebe singen, von der Liebe Gottes, die Mensch werden will, damit alle sie spüren können.

 
Und so gibt es sicher noch einige andere Chöre, die ihre Stimmen erheben und noch im Himmel von dem singen, was ihnen in ihrem irdischen Leben so wichtig gewesen: Die Friedensstifter wie Bruder Klaus von Flüe;
Die Gütigen und Freundlichen wie der Hl. Papst Johannes XXIII und  Papst Johannes Paul I.

Und jene, die den Glanz des großen Gottes im ganz Kleinen, Geringen und ganz Einfachen entdecken und die sich deshalb selbst auch klein und gering machen können - wie Clara und wie Franz von Assisi, der sicher auch noch im Himmel seinen Sonnengesang anstimmt.

„Selig, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen“.

Welch wunderschöne Vorstellung: Ein Himmel voller Gesänge.
Jeder hat Grund zum Singen – und jeder singt von seinem Leben, das Gott reich gemacht hat.

Nun, sicher ist alles ganz anders. Aber die menschliche Phantasie darf sich die Welt Gottes ausmalen und erträumen. Und ein Himmel voller Musik, mit Heiligenchören, die ihre Studenten- und Fahrtenlieder, ihre Protestsongs, ihre Friedens- und ihre Liebeslieder weiterklingen lassen.

 
Liebe Schwestern und Brüder,

„die Rettung kommt von unserem Gott, der auf dem Thron sitzt, und von dem Lamm“ – so haben wir es eben in der Lesung aus dem Buch der Offenbarung gehört.

Wenn wir das ernstnehmen, dann dürfen wir sicher sein, dass alle gerettet werden. Denn Gott liebt doch alle Menschen. Denn er ist ja auch der Gott aller Menschen.
Und dann heißt das: Allerheiligen ist auch unser Fest.

Bleibt halt nur die Frage: Wo werden wir dann mitsingen? Wo werden SIE mitsingen?
Was ist Ihnen wichtig? So wichtig, dass sie sogar noch im Himmel davon ein Lied singen können???

Sängerinnen und Sänger sind auch im Himmel gefragt.
Aber proben sollten wir schon hier auf der Erde.

 
Amen

 

Ein großer Teil der Gedanken von
Wolfgang Raible „Die Chöre der Heiligen“
Für den geistigen Hunger zwischendurch
Herder 2017

ist in meine Predigt eingeflossen.

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